30 Oktober 2005

Julia Kicey

Julia Kicey, Winterthur(1985*): „…es würde vielleicht irgendetwas in mir selber in Gang setzen, das meine Pläne über den Haufen werfen könnte.“

"Die Tatsache, dass ich mich nicht mehr um die Beschaffung der Mittel kümmern müsste, mit denen ich mir die lebensnotwendigen Dinge finanziere, eröffnet eine neue und andersartige Sichtweise auf das Leben und seine Sinngebung. Die existentielle Frage "Kann ich denn davon auch leben?", die sich bei der Wahl der Ausbildung und des Arbeitsplatzes immer vordrängt, wandelt sich in die Fragen: "Was ist mir wichtig?" und "Was will ich wirklich tun?" Sie gibt dem Menschen eine ganz neue Möglichkeit, seine Individualität zu entfalten. Ich könnte also endlich und sofort all das tun, was ich schon immer tun wollte und müsste nicht warten, bis ich genug Erspartes auf der Seite habe. Doch was ist es denn, was ich schon immer einmal tun wollte?

So urplötzlich als junger Mensch vor dieser Frage zu stehen ist irgendwie seltsam.
Natürlich habe ich Wünsche und Träume von Dingen, die ich irgendeinmal tun möchte. Aber eben: irgendwann einmal ... Eine konkrete, ausgereifte Vision oder Idee habe ich nicht. Und ich habe auch noch nie daran gedacht, eine solche zu erstellen. Denn sie kommt doch realistisch betrachtet überhaupt nicht in Frage, da eine Verwirklichung an meinem jetzigen Punkt des Lebens ohnehin eher undenkbar wäre. An erster Stelle steht stattdessen die Frage des Überlebens, der finanziellen Unabhängigkeit, um endlich auf eigene Faust leben zu können.

Angenommen, die Sorge um die Finanzierung der lebensnotwendigen Dinge – Miete, Essen, Versicherungen, Kleidung, Arztbesuche, Auto/ÖV – wäre geregelt. Wie würde ich mein Leben gestalten? Was wäre mir wichtig? Was ist mir im Grunde wichtig? Was will ich tatsächlich tun?

Meine erste Reaktion ist: Ich weiß es nicht. Weil ich es mir noch nie ernsthaft überlegt habe. Es hat mich auch noch nie jemand zuvor danach gefragt.

Ich hatte zuerst auch etwas Bedenken, diesen Fragen nachzugehen, mir diese Situation vorzustellen, denn ich befürchtete, es würde vielleicht irgendetwas in mir selber in Gang setzen, das meine Pläne über den Haufen werfen könnte.“

Julia Kicey